Wien, ÖNB, Cod. 506

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Beschreibung

 

HISTORIOGRAPHISCHE SAMMELHANDSCHRIFT.

Perg. 86 Bl. 250×170/165. Österreich (Klosterneuburg?), um 1300/frühes 14. Jh.

B: Pergament von unterschiedlicher Qualität (größere Fehlstellen auf 19, 37, 62, 63, 64, 65 und 67; bis auf 37 alle ehemals genäht). Lagen: 7.V70 + IV78 + (V-2)86. Einzelblätter: Gegenblatt von 86 sowie 79 herausgetrennt. Lagenzählung bis 70v jeweils am Lagenende mittig unten Ius, IIus,…VIIus. Moderne Bleistiftfoliierung auf den Recto-Seiten rechts oben und den Verso-Seiten links unten.

S: Schriftraum: 1r–77r: 200×120. 27, ab 21r 28 Zeilen. Horizontale und vertikale Begrenzungslinien des Schriftraumes mit Tinte (teils Stift?) bis zu den Seitenrändern gezogen, ebenso die zweite Zeilenlinierung von oben und von unten. Die Zeilen ebenfalls mit Tinte (teils Stift?) liniert. 77v–86r: 200×140. Zwei Spalten (200×65, teils unregelmäßig), 28 Zeilen. Horizontale und vertikale Begrenzungslinien mit Tinte (teils Stift?) bis zu den Seitenrändern gezogen. Auch die Zeilen mit Tinte (teils Stift?) liniert. Einstichlöcher für Linierung und Schriftraumbegrenzung fast durchgängig sichtbar. – Zwei Hände: Hand A 1r–77r (Textualis); Hand B 77v–86r (Textualis). Hand A wird von Klebel 64 irrigerweise mit der fünften Hand in Wien ÖNB Cod. 364 identifiziert und somit auf die Mitte des 14. Jh. (mit Provenienz Klosterneuburg) datiert (allerdings besteht vermutlich eine Abhängigkeit der Reimchronik von der fragmentarischen Überlieferung in Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Cod. 79 und 269). 31v–37v (jeweils Verso-Seite) sowie 39r, 40r, 41r, 42v, 43v, 45r, 46r, 48r, 53r am äußeren Rand der Seite, meist mittig, spätmittelalterliche Zählung 1–16.

A: 1r–77r: Rote, ein- bis siebenzeilige Lombarden. Angaben für den Rubrikator meist direkt neben den Lombarden noch sichtbar. In Rot die Jahresangaben und bis 2r häufig biblische Personennamen. Rote Auszeichnungsstriche. 77v–86r: Rote, einzeilige Lombarden. Rote Überschriften, zum Teil daneben die nun längeren Anweisungen für den Rubrikator noch zu sehen (etwa 81r, 83r–83v). Senkrecht durchgezogener roter Strich entlang der Versinitien.

E: Schmuckloser, stark abgenutzter Einband aus hellem Leder über Holzdeckeln. Leder des Einbands am linken oberen Eck des HD genäht. Auf VD mittig oben stark verblasst und praktisch nicht mehr lesbar Titel (?) und Signatur (…48?), rechts darunter Tintensignatur V (?) 408 und drei bis vier weitere nicht lesbare Buchstaben. Buchrücken mit vier Bünden. Im zweiten Feld (zwischen erstem und zweitem Bund) Tintensignatur 408. Ganz oben nur mehr teilweise lesbares barockes Titelschild: ANONYMI CRONICON Austriacum…finitimarum provinciarum ab o(rbe) c(ondito) ad a(nnum) 1284; ganz unten nur mehr teilweise lesbares, teils gedrucktes Signaturschild: CODEX HIST. PROF. No. <D>CXXXVIII. Olim 408. Die beiden Schließen nicht mehr vorhanden, Spuren mittig im oberen und unteren Drittel auf VD und am Rand des HD (Schließenbefestigung). Auf dem HD mittig oben Loch und Rostflecken der ehemaligen Kettenbefestigung sichtbar. Der Vorderschnitt ragt über den Einbanddeckel hinaus. Am oberen Schnitt Signatur 460, am unteren Cronica. Die Spiegelblätter entfernt, heute Fragmente in ÖNB, Cod. Ser. n. 3936, vgl. die Beschreibung bei Mazal, Unterkircher 402f. Auf den Innendeckeln Abklatsch der abgelösten Spiegelblätter erkennbar.

G: Klebel plädiert für eine Entstehung der Handschrift in Stift Klosterneuburg (mit Klosterneuburg, Cod. 1062 als Vorlage für 1r–77r). Laut Schenkungsvermerk 86v (Hic liber a doctore Iodoco Welling regio fiscali michi Iohanni Fuchsmag iuris doctori dono dedit [sic!] 13 die Octobris anno 1505 Wienne) befand sich die Hs. spätestens Anfang des 16. Jh. im Besitz von Jobst (Jodocus) Welling, Fiskal der niederösterreichischen Länder, der sie Johannes Fuchsmagen schenkte. Nach Fuchsmagens Tod befand sie sich im Besitz des Wiener Bischof Johannes Fabri (†1541), der sie 1540 laut Vermerk auf 86v an das von ihm gegründete Kollegium St. Nikolaus stiftete (Liber est reverendissimi patris et domini doctoris Iohannis Fabri episcopi Viennensis propriis et non episcopatus peccuniis emptus et post mortem ipsius in bibliothecam collegii sui s. Nicolai ad usum inhabitantium studentum [sic!] et studiosorum iuxta suum ordinem collocandus. Actum Viennae 10 Ianuarii anno a Christo nato 1540. Ex singulari mandato et ex ore ipsius reverendissimi episcopi Iohannes Sebastianus Pfuser scripsit). Ob die am oberen Schnitt angebrachte Signatur und der am unteren Schnitt vermerkte Titel Cronica auf einen früheren Besitz durch Johannes Cuspinian, der die Hs. dann nach dem Tod Fuchsmagens noch vor Fabri besessen hätte, hinweisen könnten, bleibt aufgrund des fehlenden, von ihm üblicherweise angebrachten Namensmonogramms spekulativ (vgl. hierzu H. Ankwicz-Kleehoven, Die Bibliothek des Dr. Johann Cuspinian, in: J. Stummvoll [Hg.], Die Österreichische Nationalbibliothek. Festschrift zum 25-jährigen Dienstjubiläum des Generaldirektors Univ.-Prof. Dr. J. Bick, in Zusammenarbeit mit O. Bechler, J. Gregor, A. Kisser, L. Nowak, H. Pauer, W. Till, E. Trenkler. Wien 1948, 208–227, hier 214f.). Auch hinsichtlich des stark verblassten Titels im oberen Bereich des VD mit übergeschriebener Signatur in Tinte, von welcher lediglich die Ziffern 48 klar identifizierbar sind, können nur vorsichtige Verbindungen zur Katalognummer 848 des Übernahmekatalogs der Fabri’schen Bibliothek des Kollegiums St. Nikolaus von 1541 unter dem Titel cronica in pergameno scripta gezogen werden. Die Handschrift ist in der Folge bereits im ältesten Bibliothekskatalog der Wiener Hofbibliothek unter Hugo Blotius 1576/97 im Besitz der Hofbibliothek nachweisbar (Signatur L 3824 [Chronica ab initio mundi, in 4° scriptus in membrana] unter den abgenommenen Fragmenten der Hs. in Ser. n. 3936 6r und durch den modernen Vermerk über die Herauslösung der Fragmente auf der Innenseite des VD bestätigt). Weitere ältere Signaturen und Besitzvermerke: 1r Tengnagelsignatur No. 408 (gerahmt von etwas späterer [?] Titelangabe Anonymi chronicon Austria [sic!] cum et finitimarum provinciarum ab orbe condito usque ad annum Christi 1284, Tintensignatur 408 auch auf VD, s. Einband); mittig unten rezente Bleistiftsignatur 506. Innenseite VD links oben eingeklebtes Signaturschildchen (kurz nach 1830) 506 olim Hist. prof. 638; unten Tintennotiz des 20. Jh.: War im Besitze des Ioannes Faber, Bischofs von Wien. Trug auf einem der herausgenommenen Fragmente H. Blotiusʼ Aufzeichnung L 3824. Eine Abschrift des 18. Jh. von Teilen der Handschrift durch Johann Benedikt Gentilotti befindet sich in ÖNB, Cod. Ser. n. 4426 (vgl. hierzu O. Mazal, Katalog der abendländischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek. ,Series Nova‘ [Neuerwerbungen]. Teil 4: Cod. Ser. 4001–4800 [Museion. Veröffentlichungen der Österreichischen Nationalbibliothek N. F. 4/2]. Wien 1975, 192–194).

L: Tabulae codicum manu scriptorum, praeter graecos et orientales in Bibliotheca Palatina Vindobonensi asservatorum. Vol. I: Cod. 1–2000. Vindobonae 1864, Nd. Graz 1965, 282.

A. Fingernagel, M. Roland, Mitteleuropäische Schreibschulen I (ca. 1250–1350). Textband mit 78 Abbildungen (Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters I,10. Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Denkschriften 245). Wien 1997, 259 Nr. 104.

T. Gottlieb, Die Ambraser Handschriften. Beitrag zur Geschichte der Wiener Hofbibliothek 1: Büchersammlung Kaiser Maximilians. Mit einer Einleitung über älteren Buchbesitz im Hause Habsburg. Leipzig 1900, 46f. Anm. 2.

J. Gründler (Hg.), 700 Jahre Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen. Ausstellung im Schloss Jedenspeigen 13.5.–29.10.1978. Wien 1978, 70 Nr. 26.

E. Klebel, Die Fassungen und Handschriften der österreichischen Annalistik, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich N. F. 21 (1928), 43–185, hier 64, 81, 85.

E. Kleinschmidt, ,Chronicon rhythmicum Austriacum‘, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Zweite Auflage. Band 1. Berlin, New York 1978, 1256–1258, hier 1257.

S. Krämer, Scriptores possessoresque codicum medii aevi. Datenbank von Schreibern und Besitzern mittelalterlicher Handschriften. Augsburg 2003–2012, Link zur Hs.:
http://ervwebserver.erwin-rauner.de.0083cfvj0549.emedia1.bsb-muenchen.de/scriptposs/script_biogr.asp?sk_id=4475&glob_fons=P&name=Fuchsmagen,%20Johannes (zuletzt aufgerufen am 15.07.2022).

H. Kümper, Chronicon rhythmicum Austriacum, in: The encyclopedia of the medieval chronicle. Volume I. Leiden, Boston 2010, 407.

A. Lhotsky, Studia Neuburgensia. Beiträge zur Grundlegung einer Geschichte der Wissenschaftspflege im spätmittelalterlichen Niederösterreich, in: Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg N. F. 1 (1961), 69–103, hier 99 Anm. 235.

Ders., Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband 19). Graz 1963, 190f., 197, 435.

O. Mazal, F. Unterkircher, Katalog der abendländischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek. ,Series Nova‘ (Neuerwerbungen). Teil 3: Cod. Ser. N. 3201–4000 (Museion. Veröffentlichungen der Österreichischen Nationalbibliothek N. F. 4/2). Wien 1967, 402.

H. Menhardt, Das älteste Handschriftenverzeichnis der Wiener Hofbibliothek von Hugo Blotius 1576. Kritische Ausgabe der Handschrift Series Nova 4451 vom Jahre 1597 mit vier Anhängen (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Denkschriften 76). Wien 1957, 42, 109, 121.

G. Möser-Mersky, Das österreichische ,Chronicon rhythmicum‘, in: MIÖG 73 (1965), 17–38, hier 18f.

H. Nader (Katalogbearbeiter), C. Vonwiller (Katalogbearbeiterin), G. Wagner (Einführung), W. Duchkowitsch (Katalogbearbeiter der Sonderausstellung), Chronicon Austriae. Österreichs Vergangenheit dargestellt in historiographischen Dokumenten aus den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek. Sonderausstellung 250 Jahre Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek 1726–1976 (Biblos-Schriften. Band 85). Prunksaal-Ausstellung 28. Mai bis 16. Oktober 1976. Wien 1976, 15 Nr. 24.

G. Waitz (Ed.), Catalogi archiepiscoporum Salisburgensium, in: Ders. (Ed.), MGH SS 13. Hannoverae 1881, 351 (Praefatio).

W. Wattenbach (Ed.), Annales Sancti Rudberti Salisburgenses, in: G. H. Pertz (Ed.), MGH SS 9. Hannoverae 1851, 759 (Praefatio).

Ders. (Ed.), Chronicon rhythmicum Austriacum, in: G. Waitz (Ed.), MGH SS 25. Hannoverae 1880, 349 (Praefatio).

(VD Innendeckel) Signaturschildchen, s. G.; rezente Tintennotiz, s. G.

(1r) Tengnagelsignatur, s. G.; rezente Bleistiftsignatur, s. G.

1: (1r–77r) Compilatio ab initio mundi usque ad annum MCCLXXXIV.
Tit.: Anonymi chronicon Austria cum (sic!) et initimarum provinciarum ab orbe condito usque ad annum Christi 1284 (von anderer Hand, s. G.). Incipit cronica (korrigiert aus chronica) ab inicio mundi.
Inc.: Non arbitror infructuosum seriem temporum huic operi inserere…
Expl.: … Mo duo Co quater VIo moritur dux Fridericus. / Undecies quinque post sex et mille ducentos / in fidei bella consurrexere flagella.

 1.1: (1r–2v) Honorius Augustodunensis: De imagine mundi, initium libri tertii (Ed.: V. I. J. Flint, Honorius Augustodunensis. Imago mundi, in: Archives dʼhistoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 49 [1982], 7–153, hier 123–127, Textkonstituierung ohne unsere Hs.).
Inc.: Non arbitror infructuosum seriem temporum huic operi inserere…
Expl.: …et subiugavit Indyam et Ethyopiam.

1.2: (2v–14r) Hieronymus: Chronicon usque ad annum VI a. Chr. (excerptum; Ed.: R. Helm, Eusebius Werke. Siebenter Band. Die Chronik des Hieronymus. Hieronymi chronicon. Erster Teil: Text [Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte. Band 47]. 2. Aufl. Berlin 1956, 20a–168, Textkonstituierung ohne unsere Hs.).
Inc.: Primus Asyriorum rex Ninus Beli filius regnavit…
Expl.: …Tyberius deletis Vindelicis, Armenis, Pannoniis triumphavit.

Der Text unserer Hs. ist gekürzt und sowohl inhaltlich als auch formal teils stark abweichend. Der Abschnitt At vero si divinam scripturam…ad nostra inferiora tempora prosequetur (2v) ist der Einleitung entnommen, s. hierzu Helm 14f.

1.3: (14r–75r) Sanctus Rudbertus: Annales Salisburgenses (Ed.: Wattenbach, Annales Sancti Rudberti Salisburgenses, 760–802, mit unserer Hs., Sigle A2).
Inc.: 1. Ihesus Christus Dominus noster in Bethlehem Iude nascitur…
Expl.: …Nycolaus papa sedit, qui ante dominus Iohannes Ragetanus dicebatur, nacione Romanus.

1.4: (75r–77r) Series archiepiscoporum Salisburgensium usque ad annum MCCLXXXIV (Ed.: Waitz 355f., mit unserer Hs., Sigle V).
Inc.: Sanctus Rudbertus primus Salczburgensis episcopus DCCLXIIII…
Expl.: … Mo duo Co quater VIo moritur dux Fridericus. / Undecies quinque post sex et mille ducentos / in fidei bella consurrexere flagella.

2: (77va–86ra) Chronicon rhythmicum Austriacum (Ed.: Wattenbach, Chronicon rhythmicum Austriacum, 350–368, mit unserer Hs., Nr. 1).
Inc.: Etas nostri temporis brevis non senescit. / Veterata…
Expl.: …religatur / honestas, que actenus est patrocinata.

(86v) Besitzvermerke, s. G.; Bibliotheksstempel, s. G.

 

Georg Buchbauer/Raphael Steinbacher